GGUT110 (2016) - mein erster Hunderter

August 2, 2016

Jeder Lauf erzählt eine kleine Geschichte. Der Großglockner-Ultratrail (GGUT) einen Roman. Der Inhalt in Kurzfassung: 110km, 6500hm, eine große Runde in hochalpinem Gelände um Österreichs höchsten Berg, den Großglockner, Start um Mitternacht in Kaprun, Ziel in Kaprun, Zeitlimit: 29 Stunden.

Am Wettkampftag vergeht die Zeit bis zum Start u n e n d l i c h langsam, was soll man auch „Sinnvolles“ tun bis Mitternacht, außer essen, herumliegen, lesen, Startnummer abholen, mehrfacher Ausrüstungscheck? Schließlich bin ich startklar mit Laufrucksack, Stecken, Stirnlampe um 23:00 Uhr in Kaprun und warte wie der Rest der 228 Teilnehmer (23 Damen; 205 Herren) darauf, dass es losgeht.

Wie bei jedem anderen Lauf fällt der Startschuss, und ein Großteil stürmt los, als wäre es ein kurzer Zehner, doch als es bald am Ortsende steil bergauf geht, beginnen gleich die ersten zu gehen und müssen das Tempo vernünftig anpassen. Die ersten 10km geht es kontinuierlich rund 1000hm bergauf, danach wieder hinunter nach Fusch an der Glocknerstraße, danach wieder aufwärts nach Ferleiten zur ersten Labestation (20km). In der Dunkelheit passieren wir mehrmals sehr verdutzte Kühe, die sich mit leuchtenden Augen nicht genug über diese „verrückten Trailrunner“ wundern können. Verrückt?! Ja, vielleicht ein bisschen, aber gerade das nächste lange Stücke aufwärts (ca. 1500hm) von Ferleiten zur Unteren Pfandlscharte (33km) lohnt dieses ganz spezielle Verrückt-Sein schon sehr. Ein langer Schweif an Stirnlampen durchzieht das Tal bis zum steilen Aufstieg. Weiter oben sieht man vereinzelt die Lichter der Spitzenläufer, am dunklen Himmel der fast noch volle Mond, ab und an verhangen von einer Wolke. Als auch ich schon einige Höhenmeter geschafft habe, schaue ich mehrmals hinunter und sehe die lange Lichterkette das Tal zurück – ein einmaliges Schauspiel, zu dem jeder Läufer seinen Teil beiträgt. Genau bei Sonnenaufgang erreiche ich über das letzte steile Schneefeld und mit nur einem Stecken (da mir der andere bei km 22 abgebrochen ist) die Untere Pfandlscharte.
Hier - wie auch später bei allen anspruchsvollen Übergängen - stehen überaus freundliche, motivierende Bergretter und achten genau darauf, dass nichts passiert. Nicht ganz so flott, wie ich will, geht es wieder abwärts zum Glocknerhaus (37km), wo bei der nächsten Labestation wieder sehr nette Verpfleger mithelfen, Kräfte und Flüssigkeit aufzufüllen.

Veronika Limberger laufend

Kurz danach kreuzt die Strecke beim Margaritzen-Staussee mit jener des „klassischen“ Glocknerlaufs, der eine Woche zuvor sein Ziel gleich oben auf der Franz-Josefs-Höhe hatte. Bei mir und den andern „Ultras“ war noch lang nicht einmal die Hälfte geschafft… Es geht wieder stetig bergauf, die vielen Höhenmeter fahren mir jetzt ungewohnt stark in die Oberschenkel ein; selbst wenn es flach oder an sich „laufbar steil“ bergauf geht, muss ich immer wieder zwischen gehen und laufen abwechseln. Das ist für‘s erste Mal etwas frustrierend, weil mir alles etwas zu langsam vorwärts geht, obwohl ich mir angesichts der Durchgangszeiten bzw. Limits keine Sorgen machen müsste.
Mittlerweile ist es warm und sonnig geworden, vorbei an der Salmhütte geht es wieder steil bergauf zur Pfortscharte, danach ein kurzes, abschüssiges Stück noch steiler hinunter, und ich bin dankbar, zumindest einen Stecken als Sicherheitsstütze zu haben. Die nächste Labestation Stüdlhütte ist zwar schon sichtbar, aber trotzdem noch in weiter Ferne – denn langsam macht sich bemerkbar: wir sind schon über 7 Stunden unterwegs. Juchuh – Stüdlhütte geschafft. Jetzt geht es endlich mal nur abwärts! Aber dann - immer wieder muss ich gehen, fange an langsam zu laufen, dann wieder gehen. Es geht nichts weiter. Was ist los? Dieses lange schöne Tal wäre doch an sich wunderbar zu laufen! Weiter unter Richtung Kals ewige Serpentinen Forststraße, mir wird auf einmal sehr schwindlig, „Vroni, bleib da! Reiß dich zusammen!“. Ich würge ein Stück Müsliriegel hinunter, versuche zu trinken und muss realisieren: das wird jetzt noch richtig hart werden. Ein richtiger Einbruch eben, den interessanter Weise einige Teilnehmer gerade auf diesem Part der Strecke durchhalten mussten. Die letzten 5km nach Kals ziehen sich unglaublich lang dahin, es geht schon wieder bergauf, doch selbst auf den flachen Teilen fällt mir das Laufen gerade sehr schwer. Zum ersten Mal überhaupt bei einem Wettlauf überlege ich ernsthaft, aufzugeben. Wie soll ich die restlichen 50km bewältigen, wenn es jetzt schon so mühsam ist und ich kaum laufen kann…?! Zum Glück habe ich keine Schmerzen, aber sonderlich motivierend ist der aktuelle Schnecken-Zustand definitiv nicht. Nach 60km habe ich endlich Kals erreicht. Vor der Labe gibt es noch eine Ausrüstungskontrolle, danach werde ich sofort mit Cola, Nudeln, Melonen etc. versorgt. In dieser kurzen Pause kehren die Kräfte (mehr oder weniger) zurück, und ich weiß, dass ich weitermachen werde. Was soll ich auch hier in Kals? Zumindest bis zur Rudolfshütte werde ich es schaffen. Und so geht es weiter, die nächsten 10km sogar großteils wieder im (langsamen) Laufschritt, hinein das wunderschöne Dorfertal, vorbei am Kalser Tauernhaus und nochmals aufwärts zum nächsten Übergang, dem Kapruner Tauern. Zu meiner Erleichterung geht es bergauf wieder besser als zuvor, das Wetter ist angenehm, und ich weiß, mit jedem Höhenmeter mehr wird es ein Höhenmeter weniger bis zum Ziel. Jetzt sieht man schon die traumhaft mitten in den Bergen gelegene Rudolfshütte und dann sind 80km geschafft. Mittlerweile ist kein Gedanke mehr ans Aufhören. Ich weiß, ich will und werde das durchziehen. Es sind auch „nur“ mehr 30km… Bei der zweiten großen Labestation vor der Rudolfshütte ist mit Pepi unter den Helfern ein bekanntes Gesicht. Aufmunternd fragt er mich gleich nach meinen Wünschen und spricht mir gut zu; das Kapruner Törl sind nicht mal mehr 1000hm, dann hab ich‘s gleich geschafft. Gestärkt geht es wieder weiter, den letzten steilen Anstieg, und dann wirklich (fast) nur mehr abwärts die letzten 25 Kilometer. Zuerst über Schneefelder, dann nähert sich langsam der Staussee Moserboden. Der Trail verläuft ein Stück oberhalb, weiter Richtung Limberg-Sperre (ja die heißt wirklich so ;-). Letzte Verpflegungsstelle, danach die letzten 15km abwärts. Schon ab dem Kalser Tauern waren Martina Trimmel und ich ziemlich gleich auf. Immer wieder haben wir uns abgewechselt, ging es mir gut, hat sie sich angehalten, ging es bei mir wieder mühsamer, hat sie die Führung übernommen, und ich versuchte dranzubleiben. Nach dem letzten Anstieg aber hatte ich sie aus den Augen verloren; bei meinem ersten Ultra ging es mir ohnehin nicht um eine Platzierung, sondern einzig darum, das Rennen gesund und unbeschadet zu beenden. Doch plötzlich bei km100 sah ich Martina wieder vor mir, die gerade etwas zu kämpfen hatte. „Bleib dran, Martina!“, rief ich ihr aufmunternd zu, und so sollten wir uns gegenseitig noch die letzten 10km bis ins Ziel motivieren. Lief es für mich wieder mühsamer, versuchte ich mich an ihren Schritt zu halten, wenn sie die letzten 20 Stunden zu spüren begann, konnte ich etwas helfen. Keine von uns hatte Lust auf einen Zielsprint, und so beschlossen wir, gemeinsam ex aequo über die Ziellinie in Kaprun zu laufen. So vergingen auch die letzten Kilometer in einem angenehmen Plaudertempo und doch etwas flotter als erwartet :-) Sogar bei Tageslicht liefen wir nach 20 Stunden und 17 Minuten als 4. Frau(en) und beste Österreicherinnen ins Ziel, überglücklich den GGUT geschafft zu haben. In der Allgemeinen Klasse reichte es für den 3. Platz.

Martina Trimmel und Vroni im Ziel

Mein erster (und nicht letzter) Ultralauf war eine große, aber zugegeben schon grenzwertige, Erfahrung. Ich bewundere, mit welcher Leichtigkeit und Sympathie das Siegerduo bei den Männern, Gerald Fister und Florian Grasel, in unglaublichen 15:13 die Strecke bewältigen können. Die Stimmung unter den Läufern während des Rennens war angenehm „unverbissen“, vielmehr gehört Hilfsbereitschaft und gegenseitige Motivation dazu; es reicht, wenn man mit sich selbst zu kämpfen hat. Das Veranstalterteam rund um Hubert Resch und all die vielen, freundlichen, motivierenden Helfer haben ganz tolle, bewundernswerte Arbeit geleistet. Ein Event in dieser Größendimension mit all seinen unzähligen Details zu planen, zu organisieren und schließlich auch reibungslos durchzuziehen, erfordert nicht nur viel Zeit, Genauigkeit und Erfahrung, sondern auch Engagement und Begeisterung für die Sache. Vielen Dank allen Mithelfenden für den GGUT 2016!

Siegerehrung