November 2, 2016
Auf zur WM nach Portugal
Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, als am österreichischen Nationalfeiertag zu einer Weltmeisterschaft aufzubrechen. Beim Frühstück im Radio noch Fendrichs „I am from Austria“ - ja „voi Stolz“ möchte ich genau das in Portugal sagen können. Auch dass - wenngleich als Niederösterreicherin – ich trotzdem im „Land der Berge“ daheim bin, will ich auf der 85km langen Strecke mit ihren 5000hm unter Beweis stellen. Was ist das Besondere an einer Weltmeisterschaft? Es fühlt sich tatsächlich so an, als liefe man nicht nur für sich selbst, sondern für das ganze Land. Druck, Belastung oder Motivation und unendlicher Antrieb? Natürlich beides, doch was letztlich überwiegt, wird sich erst am Wettkampftag herausstellen.
Eine starke Mannschaft macht sich also aus allen Teilen des Landes auf den Weg nach Braga, 6 Männer, 5 Frauen: Gerhard Schiemer, Florian Grasel, Michael Kabicher, Andreas Pfandlbauer, Josef Dißlbacher, Klaus Gösweiner; Sibylle Schild, Johanna Simmer, Verena Zorn, Sigrid Huber und ich. Auch unser Betreuerteam kann sich sehen lassen, dieses Mal sind sogar meine Eltern dabei, mein Vater als offizieller Teamarzt. Schon in Wien am Flughafen treffen wir auf Johanna und ihren Bruder Hans, spätabends erreichen wir gemeinsam das Akkreditierungsbüro, das zu unserer Überraschung hoch oben auf einem Hügel mit fantastischer Aussicht über die Stadt gelegen ist. Der vermutete Stadtteil Bom Jesus de Monte ist eine berühmte Wahlfahrtskirche mit einer weitläufigen Parkanlage und mehreren Hotels rund herum, in denen in diesen Tagen die Athleten einquartiert sind. Mich erinnert dieser Ort mit seiner weiten Übersicht an den Göttweigerberg daheim in der Wachau bzw. an das Stift Göttweig, und es ist schön, dass wir an so einem Kraftplatz untergebracht sind.
Der nächste Tag dient zur Akklimatisierung an die untertags mit rund 25 Grad doch deutlich höheren Temperaturen als in Österreich, bei einer ersten Erkundungstour treffen bereits einige Teamkollegen.
Nach dem Dopingtest besichtigen wir das Startgelände in Rio Caldo, bevor am Abend ein erstes Teamtreffen mit unserem Coach Michael Wolf auf dem Plan steht.
Am Freitag steigt bei allen die Nervosität deutlich an. Überall laufen Athleten aus den 29 teilnehmenden Nationen durch den Park, nach dem Mittagessen bekommen wir die Startnummern, Chips und die letzten Infos zu Strecke, Ablauf etc.; es gibt außerdem eine rege Diskussionsrunde über das Thema Trail-Running in Österreich, bevor wir alle in die Stadt Braga hinunter aufbrechen, wo die offizielle Eröffnungsfeier mit dem Fahnenaufzug der Athleten stattfindet. Ein tolles Erlebnis, mitten drin zu sein, wenngleich die langen Reden in Englisch und Portugiesisch die Aufregung nicht unbedingt einschläfern.
Danach geht es wieder zurück ins Hotel, Ausrüstung zum 100sten mal vorbereiten und ab ins Bett. Nach einem überraschend erholsamen Schlaf bin ich mit dem Weckerläuten um 2:15Uhr putzmunter, ein schnelles Frühstück, dann ab Richtung Bus, der uns zum Start nach Rio Caldo bringen soll. Die geplante Abfahrt um 3:30Uhr verzögert sich um eine halbe Stunde, doch die Busfahrer lassen sich von den ungeduldig wartenden Athleten nicht aus der Ruhe bringen. 15Min vor dem Startschuss um 5:00Uhr kommen wir gerade noch rechtzeitig an, mit Einlaufen ist da nichts mehr, schnell durch die Ausrüstungskontrolle und ab an die Startlinie. Das österreichische Team findet sich gemeinsam ein, alle wünschen einander viel Glück und warten darauf mit den Stirnlampen hinein in die Finsternis loszustürmen.
Die ersten Kilometer geht es auf der Straße bergauf, ich fühle mich gut, und sobald auch die Strecke richtig „trailig“ wird, macht es richtig Spaß - das Nachtlauftraining mit meinem Bruder auf den Kahlenberg hat sich gelohnt. Auch das Profil auf den ersten 30km – abwechselnd bergauf, bergab – kommt mir entgegen, ich kann alles durchlaufen. Als nach ca. 2 1/2h Laufzeit die Sonne aufgegangen ist, nehme ich auch die in zweifachem Sinne atemberaubende Landschaft des Nationalparks Peneda-Gerês wahr.
Bei km30 warten an der ersten VP meine Eltern, um mir die beiden 0,375l Flasks aufzufüllen, auch die Stecken packe ich rasch für die ab nun länger ansteigenden Passagen ein. Kurz überlege ich, mir noch eine zusätzliche Trinkflasche und Salztabletten mitzunehmen, aber nein, es sind ja nur 15km bis zur nächsten Möglichkeit, Flüssigkeit aufzufüllen - der größte Fehler, den ich in diesem Rennen machen konnte. Mit der naiven Meinung, es werde auf den nächsten 15km genauso gut wie auf den ersten 30 laufen, mache ich mich wieder auf den Weg und sehe bald darauf Ultralauf-Routinier Ildiko Wermescher vom deutschen Team vor mir, die bereits flott mit den Stöcken unterwegs ist und letztlich davon zieht. Zwar habe ich mir vorgenommen, so lang als möglich „mit meinen Armen“ zu laufen, nehme dann aber ebenfalls die Stecken zur Hilfe. Es geht weiter gut voran, aber schon deutlich langsamer und bei weitem nicht so spritzig wie am Anfang. Außerdem wird es immer wärmer, immer wieder nehme ich einen Schluck und merke, dass meine beiden Flasks beinahe leer sind. Zum Glück gibt es einen kleinen Bach, wo ich nicht als Einzige meine Flüssigkeits-Vorräte voll auffülle, trotzdem nicht annähernd genug. Denn die längste Sonnen-exponierte bergauf-Passage mit rund 1000hm am Stück steht noch bevor, und jetzt ist es bereits richtig heiß.
Foto: Miro Cerqueira / Matias Novos / Prozis.com
Es geht nur mehr hinauf… und hinauf… und hinauf… In der Ferne weit weit weg, jener Sendemasten, bei dem die nächste Labestation aufgebaut ist. Deutlich bekomme ich zu spüren, wie mein Körper immer stärker mit der Hitze und Austrocknung zu kämpfen hat. Es wird furchtbar mühsam, und ich langsam und schwindelig. Mit aller Motivationskraft versuche ich mich ganz auf das Rennen zu fokussieren und auf jenes primäre Ziel, diese verdammte nächste Labestation zu erreichen, um den akuten Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Mittlerweile hat mich Sibylle, die das Rennen mit einer besseren Krafteinteilung begonnen hat, überholt und fragt aufmunternd, ob alles in Ordnung ist. Ja eh, bin nur leider gerade etwas am Eingehen. Und noch immer hinauf und hinauf und noch einen Hügel,… dabei kommt der Sender auch nicht wirklich näher. In meinem fast schon Delirium erkenne ich trotzdem überaus klar, bald, Vroni, hast du dich nicht mehr selber in der Hand, aber auch dass ich kämpfen werde, und zwar genau solange, bis ich umfalle. (Wie sinnvoll, wie gesund, wie nachahmenswert das ist, ist eine andere Frage …)
Foto: Miro Cerqueira / Matias Novos / Prozis.com
Doch zum Glück erreiche ich das in diesem Fall entscheidende Zwischenziel, aber keine 5min länger… Im Verpflegungszelt liegen bereits die ersten Hitzeopfer am Boden. Wasser, Wasser – trinken, über den Kopf, trinken, nachfüllen, trinken, dann geht es weiter. Der Wohlfühlmodus in diesem Rennen ist allerdings hier bei km45 längst vorbei. Überraschenderweise geht es mit halbwegs klarem Kopf und nach dem Ausgleich des Flüssigkeitsverlustes trotz Wasserbauch ganz gut zu laufen. Bergab zuerst auf einer lang gezogenen Schotter-Forstraße, vorbei an einer Gruppe Jägern, die dem Gebrüll zu urteilen nach gerade einen Bären oder zumindest ein richtig großes Tier erlegen (nein, das ist keine Post-Dehydrations-Halluzination, wie mir mehrere MitläuferInnen bestätigten). Danach zweigt die Strecke wieder als schöner Trail ab, und ich bin verwundert, dass es sich nach der kleinen Drama-Einlage eigentlich ganz passabel anfühlt. Schließlich komme ich fast zeitgleich mit Sibylle bei der nächsten großen VP an, wo Hans und meine Eltern schon darauf warten, uns bestmöglich zu betreuen. Johanna trifft auch kurz darauf ein und klagt über starke Krämpfe. Dann machen wir uns alle in kurzem Abstand wieder auf den Weg. Es stehen noch gute 30km und vorallem ein letzter langer Anstieg mit ca. 900hm in der Nachmittagshitze bevor. Diesmal habe ich mir auch noch eine zusätzliche Trinkflasche mitgenommen. Selbst wenn ich sie dann nicht mehr brauchen sollte, noch einen Dehydrations-Zustand will und kann ich mir in diesem Rennen nicht leisten. So geht es weiter durch die an sich schöne, abwechslungsreiche Landschaft; die kleinen Ortschaften, durch die wir immer wieder laufen, erinnern mich mit ihren schmalen Kellergassen und dem Kopfsteinpflaster fast an daheim. Bei einem Bergab-Stück bin ich etwas unaufmerksam und ramme mir einen von der Seite abstehenden Ast in den linken Oberschenkel; absolut unnötig gerade an dieser Stelle. Glücklicherweise nur ein riesengroßer Bluterguss, der erst nach dem Lauf richtig sichtbar wird. Bei km64 ist nochmals eine Labestation aufgebaut, an der ich mir zur Abkühlung eine kalte Kopfdusche genehmige. Auf den flachen Stücken möchte ich laufen, aber mittlerweile ist es schon sehr mühsam. Dann geht es wieder bergauf. Alle Athleten um mich herum sind gezeichnet von der Anstrengung, alle kämpfen sich den angeblich letzten langen Anstieg hinauf, bevor es Richtung 3. VP geht. Johanna und ich treffen fast wieder gleichzeitig ein, Sibylle ist noch deutlich besser drauf und bereits auf den letzten Kilometern Richtung Zielgerade unterwegs. Diesmal ist auch Coach Michael vor Ort, der uns erzählt, ALLE unsere Männer haben es ins Ziel geschafft - das ist mal ein kräftiger Motivationsschub! Meine Eltern sind einfach nur toll und die perfekten Betreuer – obwohl es unverkennbar ist, dass der persönlicher Fun-Faktor ihrer Tochter gerade nicht unbedingt einen Höhenflug hat, wissen sie, wie wichtig es mir ist, das Ziel zu erreichen, und geben mir genug Kraft mit auf die letzten 13km. DANKE!
Mittlerweile ist es schon nach 18:00 Uhr, und es beginnt zu dämmern. Immer wieder sind auf dem letzten „eh-nur-bergab-Stück“ kleine, aber intensive Bergwertungen eingebaut, dann geht es längere Zeit sehr steil hinunter, doch endlich kommt der Zielort näher; ich höre schon den Lärm, eine Kurve noch, rechts mein Papa mit der Österreich-Fahne für den Zieleinlauf, ein Blick zurück, knapp hinter mir noch eine Frau; egal ich lasse die Fahne Fahne sein und sprinte die letzten 100m ins Ziel. Diesen einen Platz (56) lass ich mir nach 12h:55min nicht mehr nehmen. Geschafft!! :-) Eine schwere Geburt, aber geschafft.
Foto: Fernando Ramos/ barrasnatura.com
Sibylle hat bereits als 40. Frau in einer Spitzen-Zeit von 12:19h das Ziel erreicht, auch Johanna ist die letzten 13km mit einem konstanten Tempo gelaufen und rund 7min vor mir in Arcos de Valdevez eingetroffen. Unser Männerteam sitzt schon frisch und gut gelaunt bei einem Bier. Es ist so nett, dass sie warten bis wir Frauen alle im Ziel sind. Flo auf dem Wahnsinns-Platz 18! Gerhard schaut so entspannt aus, als wäre alles nur ein Spaziergang gewesen. Teamwertung bei den Männern und bei den Frauen jeweils Rang 12. Bald darauf kommen auch Verena und Sigrid ins Ziel – wir haben alle die 85km und 5000hm geschafft – also gemeinsam 935km und 55000hm.
Und schon nach einer halben Stunde im Ziel, gewaschen und wieder etwas hergestellt: es war doch alles gar nicht so schlimm ;-) Danach geht es heimwärts ins Hotel, duschen, ins Bett, eine halbwegs bequeme Lage finden und nur mehr schlafen …
Am nächsten Tag schauen wir noch den Anfang der Siegerehrung an, dann wird es Zeit, Richtung Flughafen aufzubrechen. Beim Ausstieg in Wien fragt mich ein Passagier, als er meine Nationalteam-Jacke und die am Rucksack montierte Österreich-Fahne sieht: „in welcher Disziplin haben Sie denn unser Land vertreten?“ Großes Staunen als ich von der WM im Ultra Trail erzähle; und zum Ergebnis: ja, das österreichische Team kann „voi Stolz“ sagen „we are from Austria“.