January 25, 2022
Lange Zeit war es ruhig auf meiner Homepage. Der letzte Blog-Eintrag liegt fast 11 Monate zurück, und auch bei Wettbewerben war ich 2021 nicht anzutreffen. Der Grund dafür war weder Corona noch eine langwierige Verletzung, sondern der allerbeste Grund, den eine Laufpause für eine Frau haben kann: schwanger zu sein, Mutter zu werden!
Zwar bedeutet eine Schwangerschaft nicht von vornherein, auf Laufen - und schon gar nicht auf Bewegung - verzichten zu müssen, für ein intensives Intervalltraining oder einen langen Ultra-Bewerb ist es aber ganz gewiss nicht die ideale Zeit. An den Leitsatz „machen, was sich gut anfühlt, keine Schmerzen verursacht und nicht zu anstrengend ist" habe ich mich bis zur letzten Schwangerschaftswoche gehalten. Mit viel Wandern, Radfahren, Gymnastik, Schwimmen und auch etwas Laufen konnte ich mich somit während dieser 9 Monaten in einem guten Maß in Bewegung halten. Mein Bedürfnis nach längeren Läufen hielt sich allerdings in Grenzen. Laufen hatte nicht mehr dasselbe unbeschwerte Gefühl von Leichtigkeit für mich, und vorallem wollte ich im ersten Trisemester keine Risiken eingehen. Schon mit dem ersten Bewusstsein darüber, dass im eigenen Körper ein neues Leben, ja - das eigene Kind, heranwächst, ist sofort das Bewusstsein über die Verantwortung als werdende Mutter verbunden sowie der Wunsch, alles zu tun, damit es diesem Kind so gut geht wie möglich, und schon gar nichts zu tun, was ihm schaden könnte.
Läufer haben ja generell die Tendenz, Situationen, Lebensphasen oder alles, was von wechselnden (Motivations-)höhen und -tiefen gezeichnet ist, mit einem Ultralauf oder einem Marathon zu vergleichen, und ich schließe mich von diesem Spleen (der manchmal auch nervig werden kann) nicht aus. So ähnelten die in Summe zu bewältigenden 40 Schwangerschaftswochen (SSW) für mich sehr bald den 42 Kilometern eines Marathons. Der Start fällt meistens leicht, und auf den ersten Kilometern ist die Anstrengung entweder überhaupt nicht zu bemerken oder man braucht etwas Zeit, um „warm" zu werden. Danach erlebt man auf der Strecke Höhen und Tiefen. Manche Kilometer/Wochen vergehen wie im Flug, manche scheinen überhaupt nicht zu vergehen und vorallem gegen Ende ist die Erwartung, ins Ziel zu kommen, kaum auszuhalten.
Sobald ich mich mit dieser Metapher angefreundet hatte, brachte mir das durch meine Erfahrungen als Läuferin motivationstechnische Vorteile, um diverse mühsame Phasen der Schwangerschaft durchzuhalten, z.B. „nicht notwendig hält ein Tief bis zum Ende des Laufes an". In den ersten Wochen war ich unglaublich müde, erschöpft und hätte den ganzen Tag über schlafen können. Mit dem Problem der Übelkeit hatte ich erfreulicherweise so gut wie gar nicht zu kämpfen. Ab SSW 12 folgte eine längere Etappe, in der es wunderbar dahinlief und ich genug Energie für „fast normale" sportliche Aktivitäten hatte. Ab SSW 19 begann aber eine äußerst mühsame Phase, in der mir schlichtweg alles wehtat. Zwei Tage konnte ich fast nur liegen, selbst beim Spazierengehen hatte ich starke Rückenschmerzen und ein schmerzhafter Nierenstau ließ mich kaum schlafen. „Wenn das jetzt bis Oktober so weitergeht,…" Zum Glück nicht bis zum errechneten Gebutstermin, aber doch rund 4 Wochen. Mit Schwimmen und sanfter Gymnastik wurde es immer besser, und im Juli konnte ich den Sommer mit langen Wanderungen inklusive Höhenmetern genießen.
Bei einem Marathon oder Ultra können allerdings mitunter Probleme auftreten, mit denen man nicht unbedingt rechnet; in meinem Schwangerschaftsmarathon war das ein allmählich einsetzender erhöhter Blutdruck. Mit einer sportlichen, nicht übergewichtigen Statur und einem grundsätzlich gesunden Lebens- und Ernährungsstil fallen nämlich eigentlich bereits viele Risikofaktoren dafür weg. Das „Sind Sie hergelaufen?" und das „Entspannen Sie sich!" beim Blutdruckmessen im Zuge der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen konnte ich schon nicht mehr hören und regte mich in diesen Situationen mehr auf, als dass es beruhigt hätte. Ab August waren meine Nächte durchwegs von Schlafproblemen gekennzeichnet. Die feucht-heißen Temperaturen in Tel Aviv, wo ich diesen Monat mit meinem Mann verbrachte, verschafften dabei auch keine Erleichterung. Sportlich war diese Zeit nur von Schwimmen und Radfahren im klimatisierten Fitnessraum geprägt.
Wieder zurück in Österreich war das Klima deutlich angenehmer; mit dem doch schon deutlich gewachsenen Bauch ging ich viel und lange spazieren oder wanderte auf meinen beliebten Trail-Trainingsstrecken in der Wachau. Zwei Wochen vor dem Geburtstermin war sogar noch eine längere Tour im Höllental auf den Krummbachstein möglich.
Das Ziel war zwar nun schon sehr nahe, trotzdem verging diese Zeit des Wartens furchtbar langsam. Auch die Freude darauf, wieder etwas beweglicher zu werden und mich nicht mehr als Obelix zu fühlen, wuchs immer mehr, genauso wie die Aufregung vor dem eigentlichen „Ziel", der Geburt, die selbst wiederum quasi ein eigener „Lauf im Lauf" ist, und zwar mit Überraschungseffekt - von Sprint, bis Marathon und Ultra-Lauf kann alles dabei sein; doch was du „zu laufen" bekommst, stellt sich erst im Moment heraus. Sehr geholfen haben mir in dieser Endetappe mein Mann, meine Eltern aber auch mein „Schwangerschafts-Coach", Hebamme Marlies. So wie dich ein guter Trainer auf einen Lauf vorbereitet und während des Wettbewerb unterstützt, so ist eine begleitende Hebamme vor, während und nach der Geburt mehr als hilfreich, um sich von nichts und niemandem allzu schnell verunsichern zu lassen. Wenn diese Hebamme zugleich selbst noch Läuferin und Sportlerin ist, kommt man schnell auf eine gemeinsame Sprache. „Vroni, die Wehen sind im Grunde wie ein intensives Intervalltraining, du hast Pausen, und die musst du nutzen, um dich zu erholen."
So ist dank dieser guten Unterstützung am Tag X alles gut gelaufen, ich bin ans und ins Ziel gekommen und das nicht alleine. Hier hat die Metapher aber auch ihr Ende, denn dieses Gefühl, dieser Moment, dieser unbeschreibliche Augenblick des Glücks, wenn dein Kind zur Welt gekommen ist, du es zum allerersten Mal in deinen Armen halten darfst und sein Herz an deinem Körper schlagen spürst, ist mit absolut nichts zu vergleichen, auch nicht mit dem Finishen eines Marathons.